Hintergrundinformation

Thema: Mindestlohn

Das Diakonische Werk in Hessen und Nassau und der ver.di Landesbezirk Hessen setzen sich gemeinsam für einen Mindestlohn ein und geben dazu nachfolgende Erklärung heraus.

1. Die Zeit ist reif: Viele sind arm trotz Arbeit

Immer häufiger reicht der Lohn nicht aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Allein im Jahr 2005 haben in Hessen 25000 Haushalte wegen des geringen Einkommens zusätzlich Arbeitslosengeld bezogen, weil der Lohn zum Leben nicht reicht. Der Lohn, der durch Erwerbsarbeit erzielt wird, muss eine eigenständige Existenzsicherung und ein Leben in Würde und Unabhängigkeit ermöglichen. Viel zu viele sind arm trotz und durch Arbeit. Ein erheblicher Teil der Niedriglohnbeschäftigten ist im Dienstleistungsbereich tätig.

2. Ein Mindestlohn soll vor Armut trotz Arbeit schützen

Ein gesetzlicher Mindestlohn definiert die Untergrenze, die kein Lohn unterschreiten darf. Er ist das Mindest-Entgelt für geleistete Arbeit. Ziel eines Mindestentgelts ist es, dass eine Existenzsicherung durch Arbeit im Rahmen einer Vollzeitstelle möglich ist. Der Mindestlohn soll sichern, dass niemand trotz Arbeit arm ist. Doch die Wirklichkeit sieht anders aus: Bereits 36 Prozent der Vollzeitbeschäftigten arbeiten im Niedriglohnsektor, 24 Prozent von ihnen bekommen prekäre Löhne, und 12 Prozent erhalten gar so genannte Armutslöhne.

20 der 27 EU-Mitgliedsstaaten haben einen Mindestlohn und positive Erfahrungen mit ihm gemacht. Es wurden keine Arbeitsplätze vernichtet, die Tarifautonomie wurde nicht gestört. Die Bundesrepublik gehört zu den wenigen Ländern, die ohne einen gesetzlichen Mindestlohn auszukommen meinen.

Wie die Lohnentwicklung in vielen Branchen zeigt, sind Marktpreise nicht immer in der Lage, das Existenzminimum zu sichern. Es gibt keine objektiven Maßstäbe zur Bewertung der Arbeit. Die Arbeit einer Reinigungskraft ist in einem Betrieb zum Beispiel ebenso notwendig wie die Arbeit der Geschäftsleitung. Dabei ist die Frage der Bezahlung nicht eine Frage der ökonomischen Wertschöpfung, sondern der Wertschätzung. Ethisch gesehen kann daher das Problem der Wertschätzung von Arbeit nicht über den Markt erfolgen.

Der Mindestlohn ist Ausdruck sozialer Gerechtigkeit und des solidarischen Teilens und soll davor bewahren, dass Menschen trotz Arbeit arm sind. Der Mindestlohn gewährt einen strukturellen Schutz vor Armut trotz Arbeit.

Die Kirchen anerkennen in ihrem Sozialwort Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit (1997) den Wert der Arbeit. Deshalb fordern sie, dass „die Entlohnung in Verbindung mit den staatlichen Steuern, Abgaben und Transfers auch ein den kulturellen Standards gemäßes Leben ermöglichen“ (Ziff. 151) muss.

3. Beschäftigungspotentiale personennaher Dienstleistungen

Gerade in Umbruchzeiten steigt der Bedarf an sozialen Diensten. Arbeit geht nicht aus, im Gegenteil, es liegt viel Arbeit brach – gerade im sozialen Bereich, im Dienst am Menschen, im Dienst für die Umwelt oder für ein intaktes Gemeinwesen. Dass diese Bereiche unterversorgt bleiben oder gar angesichts der Haushaltskürzungen noch weiter reduziert werden, ist nicht hinzunehmen. Wir brauchen den Aufbruch in eine soziale Dienstleistungsgesellschaft, welche die Arbeit für und am Menschen wertschätzt und fördert.

Die Zukunft der Arbeit gerade auch angesichts des demografischen Wandels ist die personennahe Dienstleistung: helfen, pflegen, beraten, bilden. Deshalb gilt: Diakonie arbeitet mit an der Zukunft der Arbeit. Wer nur kürzt, der bringt die Gesellschaft um eine gute Zukunft.

4. Soziale Arbeit hat nicht nur ihren Wert, auch ihren Preis

Um der Humanität unserer Gesellschaft willen müssen neue Beschäftigungspotentiale in den sozialen Diensten erschlossen werden können. Die Denkschrift der EKD Soziale Dienste als Chance (2002) spricht von einer hohen Wertschätzung sozialer Dienste „für ein gerechteres, solidarischeres und zukunftsfähigeres Gemeinwesen“ (Ziff 37).

Wenn die sozialen Dienste diesen beschriebenen Stellenwert für die Gesellschaft haben sollen, dürfen sie nicht dem freien Spiel der Märkte überlassen werden. Sie müssen kulturell und gesellschaftlich aufgewertet und bedarfsorientiert refinanziert werden. Zugleich ist es nur konsequent, diese Arbeit durch eine sozial ausgewogene staatliche Einnahmepolitik sicherzustellen.

5. Diakonie und ver.di für einen Mindestlohn

Zu den Grundaussagen einer christlichen Arbeitsethik gehört: Armut trotz Arbeit verletzt die Menschenwürde. Deshalb unterstützt die Diakonie in Hessen und Nassau die Forderung nach existenzsichernden Löhnen und nimmt sich selbst auch dort in die Pflicht, wo sie als Arbeitgeberin tätig ist. Sie nimmt damit auf, was im Sozialwort der Kirchen formuliert ist: „Die Kirchen können nicht Maßstäbe des wirtschaftlichen Handelns formulieren und öffentlich vertreten, ohne sie auch an sich selbst und das eigene wirtschaftliche Handeln anzulegen. Mit Recht wird dies als eine Frage der Glaubwürdigkeit angesehen.“ (Ziff. 244) DWHN und ver.di sprechen sich für die Einführung eines gesetzliches Mindestlohns auf dem Niveau westeuropäischer Industrieländer aus. An diesem Niveau muss sich auch die Refinanzierung des sozialen Sektors orientieren.

Die Debatte um einen existenzsichernden Lohn muss begleitet werden von der Wertschätzung und dem weiteren Ausbau des öffentlich geförderten Arbeitsmarktes für Menschen mit besonderen und teilweise unüberwindbaren Schwierigkeiten. Denn die Kombination von Mindestlohn und öffentlich geförderter Beschäftigung verhindert, dass Menschen zu jedem Preis und um jeden Preis auf einen ersten Arbeitsmarkt gedrängt werden, obwohl dieser keine Arbeitsplätze für sie bereit hält.

Frankfurt am Main, 09.03.2007

Rückfragen richten Sie bitten an:

Hermann Schaus
Referent für Grundsatzangelegenheiten, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
ver.di Landesbezirk Hessen
Wilhelm-Leuschner-Str. 69-77, 60486 Frankfurt am Main
Telefon: (069)2569-1120
hermann.schaus@verdi.de

Kathleen Niepmann
Pressesprecherin
Diakonisches Werk in Hessen und Nassau
Ederstraße 12, 60329 Frankfurt
Telefon: (069)7947375
pressesprecherin@dwhn.de

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